Erönungsrede

André Kirbach, 24.3.2023

„Die stärkste Farbe findet ihr Gleichgewicht, aber nur wieder in einer starken Farbe, und nur wer seiner Sache gewiß wäre, wagte sie nebeneinander zu setzen .

Es (Gelb) ist die nächste Farbe am Licht. Sie führt in ihrer höchsten Reinheit immer die Natur des Hellen mit sich und besitzt eine heitere, muntere, sanft reizende Eigenschaft. So ist es der Erfahrung gemäß, daß das Gelbe einen durchaus warmen und behaglicheren Eindruck mache.

Diese Farbe (Blau) macht für das Auge eine sonderbare und fast unaussprechliche Wirkung. Sie ist als Farbe eine Energie; allein sie steht auf der negativen Seite und ist in ihrer höchsten Reinheit gleichsam ein reizendes Nichts.“

 So schrieb es Johann Wolfgang von Goethe einst in sein Tagebuch – lange nachdem er 1810 sein Werk „Zur Farbenlehre“ veröffentlicht hatte.

Für Goethe war die Auseinandersetzung mit Farbe und deren Wirkung zeitlebens ein zentrales Thema. Im hohen Alter sagte er hierzu seinem Sekretär Johann Peter Eckermann:

 

„Auf alles, was ich als Poet geleistet habe, bilde ich mir gar nichts ein. […] Daß ich aber in meinem Jahrhundert in der schwierigen Wissenschaft der Farbenlehre der einzige bin, der das Rechte weiß, darauf tue ich mir etwas zugute […].“

 

Dass der alte Goethe hier ein wenig übers Ziel hinaus schoss, sei ihm verzeihen, denn damals stand die Forschung zu Licht und Farbe noch ganz am Anfang.

Aber auch in der Kunst spielte die Auseinandersetzung mit Licht und Farbe seit dem frühen 19. Jahrhundert mehr und mehr eine Rolle, die dann später im Impressionismus ihren ersten Höhepunkt im fand. Aus den künstlerischen Wirren der 2. Hälfte des 20. Jahrhundert mit ihren Haupt- und zahllosen Nebenwegen gingen dann bekannte und

weniger bekannte, aber nicht minder gute Künstler hervor, deren ganz unterschiedliche Herangehensweisen an das Thema wir heute mit Licht- und Farb-Kunst verbinden.

 

Ich darf an dieser Stelle kurz an die Lichtobjekte von Günter Dohr erinnern, Leuchtkästen mit farbigen Halogen- und Neonröhren aus den 90er Jahren, die wir 2017 hier im Pavillon gezeigt haben.

Nicht weniger faszinierend sind die Arbeiten, die ab heute bei uns im Kunstverein zu sehen sind. Dreidimensionale Wandobjekte und Raumskulpturen, die einerseits technisch nüchtern, aber gleichzeitig sanft poetisch bis hin zu farbenfrisch und fröhlich daher kommen und uns geradezu einstimmen auf den sich endlich nahenden Frühling. Ihr Material – Plexiglas – scheint dabei eine, aus sich selbst heraus wachsende Leuchtkraft zu besitzen.

Und, um meiner Begeisterung freien Lauf zu lassen: Kommen Sie unbedingt noch einmal. Bei Tageslicht – vielleicht, wenn die Sonne scheint, wenn unser Meyersches Teehaus in hellem Licht erstrahlt. Dann werden Sie staunen, wie gut sich diese Arbeiten hier entfalten – und wie sich Kunst und Ort miteinander verbinden.

Bettina Bürkle, 1961 geboren in Heilbronn, studierte 1981-89 Bildhauerei an der Staatlichen Kunstakademie Stuttgart. Ursprünglich vom Material Ton herkommend, arbeitet die Künstlerin seit nunmehr über 20 Jahren vorwiegend mit Acrylglas. Ihre Arbeiten leben davon, aus verschiedenen Perspektiven betrachtet werden zu können, und erinnern so an Modelle begehbarer Lichtarchitekturen. Die handwerklich technische Präzision dieser minimalistischen Objekte steht dabei zugunsten ihrer eigentlichen Farb-Licht-Wirkung ganz im Hintergrund.

Als selbständige Bildwerke befinden sich die Arbeiten von Bettina Bürkle auf Augenhöhe mit ihren Betrachtern oder animieren diese zu beständiger Bewegung und steten Blickwechseln.

Ein geheimnisvoll inwendiges Strahlen geht dabei von den prismatischen Kanten der einzelnen durchscheinenden Gläser aus, als würden diese von einer irgendwie unsichtbaren elektrischen Quelle gespeist.

 

Die Werkgruppe der sogenannten Schiebeobjekte, die in dieser Ausstellung besonders vertreten sind, lädt offenkundig dazu ein, den Betrachter teilhaben zu lassen. Durch das aktive Verschieben der Scheiben wird ihr Verhältnis zueinander verändert und neu definiert. Der Betrachter wird zugleich aktiver Teilhabender an dem Werk.

Jedes dieser Schiebeobjekte bildet seinen Farbakkord aus einer bestimmten Anzahl und Farbigkeit von mehr oder weniger

transparenten Scheiben, die in ihrer Einheit einen Farbraum bilden. Je nach Betrachtungswinkel verändert sich ihre Wirkung zueinander. Scheiben, also Farben addieren sich und subtrahieren wieder. Dieses Gegenspiel von Dichte und Transparenz erzeugt Veränderung von Farbtönen, bildet neue Farbklänge und somit einen, sich in steter Veränderung befindenden Farbraum.

 

Bevor ich Sie nun dem Genuss der Objekte überlasse möchte ich Ihnen folgende Zeilen mit auf den Weg geben, die, wie ich finde, so wunderbar zu den Arbeiten von Bettina Bürkle passen


"Auf einer Harzreise im Winter stieg ich gegen Abend vom Brocken herunter, die weiten Flächen auf- und abwärts waren beschneit, die Heide von Schnee bedeckt, alle zerstreut stehenden Bäume und vorragenden Klippen, auch alle Baum- und Felsenmassen völlig bereift, die Sonne senkte sich eben gegen die Oderteiche hinunter. Waren den Tag über, bei dem gelblichen Ton des Schnees, schon leise violette Schatten bemerklich gewesen, so mußte man sie nun für hochblau ansprechen, als ein gesteigertes Gelb von den beleuchteten Teilen widerschien. Als aber die Sonne sich endlich ihrem Niedergang näherte und ihr durch die stärkeren Dünste höchst gemäßigter Strahl die ganze, mich umgebende Welt mit der schönsten Purpurfarbe überzog, da verwandelte sich die Schattenfarbe in ein Grün, das nach seiner Klarheit einem Meergrün, nach seiner Schönheit einem Smaragdgrün verglichen werden konnte.

Die Erscheinung ward immer lebhafter, man glaubte sich in einer Feenwelt zu befinden, denn alles hatte sich in die zwei lebhaften und so schön übereinstimmenden Farben gekleidet, bis endlich mit dem Sonnenuntergang die Prachterscheinung sich in eine graue Dämmerung und nach und nach in eine mond- und sternhelle Nacht verlor.“

 

Gemeint waren hier die farbigen Schatten in der Abendsonne am verschneiten Brocken, so beschrieben vom jungen Goethe, 1777 auf seiner ersten Harzreise.